Hätte nicht Herr Kikeriki ihm die Richtung gewiesen, der Wurm Schamir ihm durch die Berge geholfen und der große Wal ihm den fliegenden Teppich geliehen, dann wäre der kleine Tam nie in sein Land gekommen, wo Milch und Honig fließen. Dort angekommen, nimmt ihn der gute Bauer Jehuda bei sich auf und wird ihm nun allabendlich die schönsten jüdischen Märchen erzählen: von den jungen Arbeitern vom Turmbau zu Babel, die sich zwar nicht mehr mit Worten verständigen können, sich aber dennoch verstehen und gegenseitig helfen – von der von Ungerechtigkeit durchdrungenen Gesellschaft in Sodom und was dagegen helfen kann – von Rollifahrer Josefs Absturz in fremde Unterwelten und wie er schließlich Rambam begegnet und der ihn kuriert – und von der fröhlichen Dina, die durch den Wald läuft, sich verletzt und in große Gefahr gerät aber von ihrer Mutter gerettet wird, während ihr Vater von allem nichts mitbekommt – und viele weitere Märchen.
Aus dem Nachwort von Gabriele von Glasenapp: Zu den Werken, die durch den Nationalsozialismus in Vergessenheit geraten sind und durch die Neuausgabe wieder ins Bewusstsein gerückt werden, zählt auch die Märchensammlung „Tams Reise durch die jüdische Märchenwelt“ des Wiener Pädagogen, Lehrers und Schriftstellers Siegfried Abeles. (…) Jüdische Vergangenheit und zionistische Zukunft verbinden sich in Abeles’ Märchenzyklus zu einer untrennbaren Einheit. Es ist nicht zuletzt diese Gestaltung des Modernen auf der Basis des Alten – von Abeles in seinem Märchenzyklus mit einer Vielzahl von Bildern immer wieder aufs Neue erzählt –, die auf entscheidende Weise zum innovativen und indirekt vielleicht auch zum politischen Charakter dieser Sammlung beigetragen hat.
Siegfried Abeles wurde 1884 in Wien geboren und war seit 1910 Lehrer an einer jüdischen Schule für geistig behinderte Kinder und während des Krieges in einem Heim für Kriegsblinde. Im Zuge dieser Arbeit veröffentlicht er Aufsätze über hebräische Blindenschriftsysteme. Im Jahr 1919 wurde er Inspektor der Heimstätten und Kindergärten und publiziert Aufsätze über pädagogische und soziale Fragen. 1922 erscheint sein erstes Kinderbuch „Tams Reise durch die jüdische Märchenwelt“. 1923 bringt Abeles Frau Sabine den gemeinsamen Sohn Norbert zur Welt. Abeles wird Mitarbeiter der Zeitschrift „Menorah“, deren Kinderseiten er gestaltet, zum Teil unter dem Pseudonym Onkel Ben Nathan. 1933 wird er Herausgeber und Verleger für das Periodikum „Benjamin – Zeitung für das jüdische Kind“, das allerdings noch im selben Jahr sein Erscheinen wieder einstellen muss. Als Beauftragter der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde ist er in den folgenden Jahren für die Belange der deutsch-jüdischen Emigranten und der Staatenlosen zuständig, die nach der Machtübertragung 1933 in zunehmend größerer Zahl nach Österreich gelangen. Im Alter von nur 53 Jahren kommt Siegfried Abeles am 1. Juli 1937 in Wien durch Selbstmord ums Leben. Siegfried Abeles’ Witwe, Sabine Griffels, wurde im Mai 1942 nach Weißrussland deportiert und dort ermordet. Norbert Abeles konnte 1938 mit einem Kindertransport nach England entkommen.
Ab April 2022 im Buchhandel erhältlich und beim Verlag bestellbar.
Neuedition der ersten Ausgabe von 1922
Siegfried Abeles: Tams Reise durch die jüdische Märchenwelt.
Fünfundzwanzig Kindermärchen nach jüdisch-volkstümlichen Motiven
Mit 27, teils farbigen Illustrationen und Abbildungen, Klappenbroschur, 152 Seiten
Nachwort: „Sigfried Abeles’ zionistische Wirklichkeitsmärchen aus dem Geist der jüdischen Tradition“ von Gabriele von Glasenapp
Covergestaltung Amichai Green
Herausgegeben von Ulrich Leinz
Historische Kinder- und Jugendbücher jüdisch-deutschsprachiger Autorinnen und Autoren, Band 2
Gans Verlag 2022
ISBN 978-3-946392-18-7
21,90 Euro [D]