Tarifeinheitsgesetz nicht verfassungsgemäß? Entscheidung des BVerfG mit Spannung erwartet

Mit Spannung erwartet wird – insbesondere von den kleineren Gewerkschaften – die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ob das Tarifeinheitsgesetz verfassungskonform ist oder nicht. Die Hauptfrage ist, inwieweit § 4a TVG in die Koalitionsfreiheit der kleinen Minderheitsgewerkschaften eingreift und wenn ja, ob dieser Grundrechtseingriff gerechtfertigt und verhältnismäßig ist. Diesen Fragen ist Patrick Rieger in seiner Untersuchung „Tarifeinheitsgesetz. Eine verfassungsrechtliche Bewertung“ nach und kommt zu dem Schluss, dass das Tarifeinheitsgesetz nicht verfassungsgemäß ist. Er schreibt dazu:

Um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu erhalten, ist es aus der Sicht des Gesetzgebers notwendig, mit § 4a TVG eine Regelung zur Auflösung von Tarifkollisionen in das Tarifvertragssystem einzufügen. Diese Regelung stützt sich vorrangig auf die Gewährleistung der Tarifautonomie, allerdings finden sich in der Begründung vor allem sozialpolitische Erwägungen sowie Hinweise auf die negativen Folgen des Wettbewerbs der Gewerkschaften. Die Folgen dieses Wettbewerbs will der Gesetzgeber reduzieren, indem er eine Tarifeinheit im betrieblichen Überschneidungsbereich der Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften einführt, wobei sich der anwendbare Tarifvertrag nach dem betrieblichen Mehrheitsprinzip bestimmt. Damit werden aber nicht alle Formen der Tarifkollision aufgelöst, denn in bestimmten Fällen kann es weiter zu Tarifpluralität im Betrieb kommen, was angesichts der inhaltlichen Begründung des Gesetzes widersprüchlich erscheint.

Die verfassungsrechtliche Würdigung des TEG hat ergeben, dass dieses Gesetz den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG berührt, denn durch § 4a TVG wird die Tarifautonomie der Minderheitsgewerkschaften beeinträchtigt. Diesen steht die zwingende Wirkung des Tarifvertrags zur Ordnung des Arbeitslebens ihrer Mitglieder nicht mehr zur Verfügung und andere Betätigungsmittel der Tarifautonomie sind nicht vorhanden. Diese Beeinträchtigung stellt einen Eingriff in die Rechte der Minderheitsgewerkschaften dar und ist daher als Grundrechtseingriff zu bewerten, auch wenn die Maßnahme gleichzeitig die Ausgestaltung von staatlichen Schutz- oder Gewährleistungspflichten darstellt.

Dieser Grundrechtseingriff ist nur im Bereich der Auflösung der Konkurrenz von Betriebsnormen i.S.v. § 3 Abs. 2 TVG gerechtfertigt, da er die verfolgten Ziele in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise erreicht. In diesen Fällen ist die Regelung in der Lage, den Koalitionen, deren Betriebsnormen zur Anwendung kommen, eine funktionsfähige Tarifautonomie zu gewährleisten.

Ansonsten liegt jedoch keine Rechtfertigung für den mit § 4a TVG verbundenen Grundrechtseingriff vor. Sowohl die Tarifautonomie der Arbeitgeber aus Art. 9 Abs. 3 GG als auch das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und die diversen Grundrechte, die durch die Auswirkungen des Arbeitskampfes auf die Allgemeinheit beeinträchtigt werden, können als Verfassungsgüter zwar im Grundsatz den Eingriff in die Tarifautonomie legitimieren, jedoch ist das TEG für den Schutz dieser Verfassungsgüter kein geeignetes Mittel.

Ferner werden durch die Anwendung des Mehrheitsprinzips besonders die Berufsgewerkschaften in ihrer Tarifautonomie beeinträchtigt, wobei es im Verhältnis zu den Branchengewerkschaften zu einer Ungleichbehandlung kommt. Diese Ungleichbehandlung ist lediglich im Bereich der Betriebsnormen durch ein geeignetes Unterscheidungsmerkmal gerechtfertigt, während die Verdrängung der weiteren Normen des Tarifvertrags der Berufsgewerkschaften verfassungsrechtlich nicht zulässig ist.

Mit Ausnahme des § 4a Abs. 3 TVG ist die Regelung des TEG daher verfassungswidrig.

Als Alternative zum TEG stehen Regelungsmöglichkeiten zur Verfügung, die geeignet sind, die legitimen Ziele des Gesetzgebers zu erreichen. Dabei erscheinen Regelungen im Bereich des Arbeitskampfes vorzugswürdig, da diese die Auswirkungen des Arbeitskampfes auf die Allgemeinheit reduzieren, die Parität der Tarifvertragsparteien gewährleisten und die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie erhalten könnten.

Die Regelung des Gesetzgebers führt jedoch nicht zum Erhalt der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie, sondern die autonome Vereinbarung von kollektiven Arbeitsbedingungen wird vielmehr gerade durch die gesetzliche Tarifeinheit in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt. Es ist daher davon auszugehen, dass die anstehende Entscheidung des BVerfG auf der Strecke der Tarifeinheit nicht nur einen Engpass darstellt, sondern dass sich das TEG bereits jetzt auf einem toten Gleis befindet.“

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts wird auf Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 24. und 25. Januar 2017 (siehe Pressemitteilungen Nr. 94/2016 vom 14. Dezember 2016 und Nr. 100/2016 vom 28. Dezember 2016) am
Dienstag, 11. Juli 2017, 10.00 Uhr,
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe
sein Urteil verkünden.

Bibliografische Angaben
Patrick Rieger: Tarifeinheitsgesetz: Eine verfassungsrechtliche Bewertung
178 Seiten, Berliner wirtschaftsrechtliche Schriften, Band 2
Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Jaensch und Prof. Dr. Irmgard Küfner-Schmitt
Gans Verlag, Berlin 2016
ISBN 978-3-946392-01-9